Ärztin in Neuseeland

Als Ärztin nach Neuseeland auswandern – Interview mit Natalie aus Invercargill

Interviews

Erfahrungsbericht von Neuseeland Auswanderern: Ärztin Natalie berichtet
Mit diesem Interview startet die neue Serie von Kiwifinch Auswanderer-Interviews. Über den Kiwifinch-Blog habe ich jede Menge deutschsprachige Neuseeland-Auswanderer kennengelernt und viele sind zu guten Freunden geworden. Jeder hat seine ganz eigene Auswanderer-Geschichte und auch jeder Visa-Antrag läuft anders ab. Ich hoffe mit meinen Interviews den ganzen Prozess und den Ablauf einer Auswanderung nach Neuseeland etwas anschaulicher und greifbarer zu machen. Für das heutige Interview habe ich mit Natalie gesprochen. Sie ist Ärztin (Radiologin) und lebt mit ihrem Mann Arthur seit 2015 in Invercargill auf der Südinsel. Vielen Dank an Natalie für dieses sehr ausführliche Interview!!

Wann hattet ihr die Idee auszuwandern und wie seid ihr auf Neuseeland gekommen?

Ich hatte nie vor gehabt meine Heimat, das Ruhrgebiet zu verlassen – ich bin dort aufgewachsen und als ich mal für ein Jahr beruflich nach Münster pendeln musste, habe ich mich dort sehr fremd gefühlt. Dabei ist das noch im selben Bundesland! Mein Mann Arthur hingegen war schon immer überzeugt dass Deutschland nicht die Endstation für ihn ist. Spaß am Reisen haben wir beide und im Oktober 2012 hatten wir es endlich geschafft eine Rundreise über Nord-und Südinsel Neuseelands zu machen. In Queenstown fragte mich Arthur dann aus heiterem Himmel ob es nicht toll wäre wenn wir hier leben könnten. Ich erwiderte, dass er verrückt sei. Zudem hatten wir erst kürzlich eine Wohnung in Essen gekauft. Aber während der Reise konnte der Gedanke in mir heranreifen. Ich überlegte zunächst ob ein verlängerter Aufenthalt, wie ein Sabbatical eine Option wäre. Aber als ich am vorletzten Reisetag in Piha surfen war, legte das einen Schalter in mir um. Im Flugzeug zurück nach Deutschland fühlte ich, dass mein Herz dort geblieben war. Ich sagte zu Arthur, dass ich bereit wäre es zu versuchen. Aber Voraussetzung für eine Auswanderung wäre, dass ich in meinem Beruf als Radiologin weiterarbeiten kann. Hätte das nicht funktioniert, dann wären wir in Deutschland geblieben und nicht ausgewandert – auch nicht woanders hin. Unsere Auswanderung war mehr ein “hin nach Neuseeland” als ein “weg von Deutschland”.

Also habt Ihr Euch Neuseeland vor der Auswanderung angeschaut?

Ja, wir waren 2012 und 2014 jeweils für ein paar Wochen in Neuseeland, mehr ließ mein Urlaubsplan im Job nicht zu. Der erste Aufenthalt führte zu der Idee und der zweite war ganz bewusst geplant um sich als zukünftige Einwanderer zu orientieren: Eine Mischung aus Surf-Roadtrip und Reality-Check. Wir schauten uns konkret an wieviel ein Alltag in Neuseeland im Vergleich zu Deutschland kosten würde und haben uns auf dem Job- und Immobilienmarkt informiert. Ein Ergebnis war zum Beispiel, dass wir uns definitiv dafür entschieden haben einen Container mit Möbeln aus Deutschland mitzubringen.

 Natalie beim Surfen in Colac Bay, Southland

Natalie beim Surfen in Colac Bay, Southland

Als Arzt nach Neuseeland auswandern: Was hast Du für eine Ausbildung?

Ich bin in Deutschland einen geradlinigen Weg ohne große Lücken im Lebenslauf gegangen: Schule, Abitur, Medizinstudium. Zwei Monate nach dem Studienabschluss folgte der Eintritt ins Erwerbsleben als Ärztin und mit 31 Jahren wurde ich nach meiner Facharztanerkennung für Radiologie zur Funktionsoberärztin befördert. Später wurde ich auch Chefarztvertreterin in einem kleinen Krankenhaus. Dazu muss ich aber sagen, dass ich zwar die Aufgaben und Verantwortlichkeiten einer Oberärztin hatte, aber bis auf eine Zulage weiterhin nur wie eine normale Fachärztin bezahlt wurde – um dem Arbeitgeber gutes Geld zu sparen.
Mein Mann hingegen hat in Deutschland in verschiedenen Bereichen (Versicherung, EDV, Kommunikationstechnik) entweder angestellt oder selbstständig gearbeitet. Zuletzt war er Systemadministrator bei Siemens. Fotografie und Filmemachen war schon lange sein Hobby. Die bürokratischen Hürden ein kleines Unternehmen zu gründen sind in Neuseeland geringer als in Deutschland. So konnte er (auf Basis seines Partner-Visas) mit Videocopter.nz sein Hobby erfolgreich zum Beruf zu machen.
Für die Einwanderung war jedoch meine Qualifikation die Eintrittskarte. Das neuseeländische Einwanderungssystem favorisiert ganz eindeutig Leute, die Ihre ausländische Qualifikation/Studium/Ausbildung in Neuseeland anerkannt bekommen, relevante Berufserfahrung in einem gesuchten Bereich haben und möglichst auch noch ein Stellenangebot (Job Offer) vorweisen können. Wenn ich als Ärztin keine Festanstellung gefunden hätte, wäre Arthurs Qualifikation in der IT ein Plan B für uns gewesen.

[flickr_set id="72157677257519136"]

copyright Arthur Steinhauser, Aerial Photography and Cinematography, www.videocopter.nz

Wie lange vorher habt Ihr angefangen die Auswanderung vorzubereiten?

Von der offenen Aussprache: “Wir wollen nach Neuseeland auswandern” bis zur Ankunft hatten wir 2 Jahre veranschlagt. Tatsächlich wurden es 2 Jahre und 3 Monate – also gar nicht mal so schlecht geschätzt. Und wir brauchten diese Zeit auch tatsächlich für die ganzen Vorbereitungen und auch um uns bewusst in Deutschland zu verabschieden.

Wann seid ihr nach Neuseeland ausgewandert?

Am 13. Februar 2015 kamen unsere Reisepässe mit den 3-Jahres-Work-Visas aus London an. Wir buchten kurzfristig einen Flug und landeten am 18. Februar in Christchurch. Dort musste ich zwei Stunden nach der Ankunft noch ein Interview mit dem Medical Council führen, um die endgültige Lizenz als Ärztin ausgestellt zu bekommen. Nur wenige Tage später war nämlich mein Arbeitsbeginn. Wir haben kurz darauf dann auch die Expression of Interest (EOI) für unser Resident Visa (dauerhafte Aufenthaltgenehmigung) abgeschickt. Dank der guten Vorbereitungen in Deutschland war ein Großteil der Dokumente aus London einschließlich Sprachtest, Medical Check und die Führungszeugnisse noch gültig. So mussten die Dokumente nur noch von dem einen Immigration New Zealand Büro in das andere geschickt werden. Immigration New Zealand informierte uns dann, was noch fehlte. Das Resident Visa zu haben gab uns bezüglich unserer Zukunft hier in Neuseeland noch einmal ein sichereres Gefühl. Als Resident genießt man hier nämlich sehr ausgedehnte Rechte.

Wie haben Euere Eltern reagiert als ihr das erste Mal gesagt habt dass ihr nach Neuseeland auswandern wollt?

Oh je, meine Eltern und Arthurs Eltern hätten unterschiedlicher nicht reagieren können, obwohl es auf beiden Seiten bereits einen “Migrationshintergrund” gibt. Arthurs Eltern waren nach der Wende ohne Sprachkenntnisse mit ihren zwei Kindern von Polen nach Deutschland gekommen. Insbesondere Arthurs Vater war von unseren Auswanderungsplänen hellauf begeistert. Er wollte sofort auch nach Neuseeland auswandern ohne je dort gewesen zu sein oder Englisch zu sprechen. So wie ich ihn einschätze wird er diese Meinung nach seinem ersten Besuch hier wohl auch nicht ändern. Die Einwanderung via Parent Category wäre mit dem Renteneintritt für Arthurs Eltern eine Möglichkeit.
Meine eigenen Eltern waren gelinde gesagt kritisch eingestellt und sehr unglücklich über meine Pläne.

Meine Eltern waren gelinde gesagt kritisch eingestellt und sehr unglücklich…

Dazu muss ich sagen, dass ich zwar in Deutschland aufgewachsen bin, aber durch meine Mutter in meiner Mentalität etwas asiatisch geprägt bin. Ich bin Einzelkind, meine Eltern sind beide über 70 und nach der Vorstellung meiner asiatischen Familie gehöre ich eigentlich mit meinen Eltern unter ein Dach. Als ich 2012 eine Wohnung in Essen gekauft hatte, gerade 25 km von meinem Elternhaus entfernt, waren meine Verwandten entsetzt darüber, dass ich meine Eltern “so weit weg” alleine lasse. So und jetzt stelle man sich die Reaktionen vor, als ich eröffnete ganze 18.000 km weit weg ziehen zu wollen.
Meine Mutter bat mich meine Auswanderung zurückzustellen, bis sie das Zeitliche gesegnet hat. Aber ich wollte mich trotz meines schlechten Gewissens nicht beugen. Es ist und bleibt meine egoistische Entscheidung die Eltern für meinen eigenen Lifestyle zurückzulassen –  aber es ist eben auch mein Leben.
Mein Mann Arthur hat mit seiner großen Familie in Polen ja einen ähnlichen Hintergrund. Aber vielleicht hat genau das uns dabei geholfen unsere Auswanderung durchzuziehen, weil wir eben schon als Kinder erlebt haben, wie es ist familiär, heimatlich und kulturell zerrissen zu sein. Für uns ist das die Normalität.
Meine Mutter fragt mich seit fast zwei Jahren konsequent bei jedem Telefongespräch in einem ernsten und eindringlichen Tonfall, ob ich denn WIRKLICH nicht nach Deutschland zurückkommen wolle. Ich könne es mir ja immernoch überlegen. Ich denke aber, dass mittlerweile so etwas wie Akzeptanz vorhanden ist.

War es einfach für Dich als Ärztin einen Job in Neuseeland zu finden?

Die Jobsuche, die ich damals während unseres Reality-Check Trips 2014 begonnen hatte, war wie eine kalte Dusche und viel mühsamer als gedacht. Schließlich herrscht ja Fachärztemangel in Neuseeland (so wie in Deutschland). Ich erwartete, innerhalb von 3 Monaten eine Stellenzusage zu bekommen. Allerdings waren nur sporadisch alle paar Wochen passende Stellen für meine Qualifikation ausgeschrieben und das erste Vorstellungsgespräch am Telefon war sehr ernüchternd. Zudem zeigten die potenziellen Arbeitgeber keinerlei Eile in ihren Auswahlverfahren.

Lake Hauroko am Morgen

Lake Hauroko am Morgen, Southland. Copyright Arthur Steinhauser, Aerial Photography and Cinematography, www.videocopter.nz

Jobsuche als Arzt: Warst Du in Neuseeland als Du auf Jobsuche oder hast Du Dich von Europa aus beworben?

Für mein erstes ernsthaftes Stellengesuch war ich noch in Neuseeland und versuchte vergeblich ein persönliches Gespräch zu arrangieren. Der Arbeitgeber war an mir interessiert, aber nicht bereit mich sofort zu einem Gespräch einzuladen. Somit wurde daraus dann ein umständliches Telefoninterview – nur 2 Tage nachdem ich wieder in Deutschland angekommen war. Das hab ich damals nicht wirklich verstanden.
Alle weiteren Bewerbungen hatte ich von Deutschland aus gestartet. Im Bereich Fachärzte/Oberärzte ist es in Neuseeland durchaus üblich Bewerbungen aus dem Ausland zu berücksichtigen. Trotzdem steht man ja in direkter Konkurrenz zu Bewerbern die vor Ort sind oder zumindest aus einem Land mit einem ähnlicheren Gesundheitssystem kommen.
Meine monatelange Bewerbungsphase sah es so aus, dass ich tagsüber arbeitete und nachts regelmäßig stundenlang wach war um Emails zu beantworten, Telefonate zu führen und Dinge ad hoc zu organisieren. Ein bisschen wie ein Doppelleben. Einfach nur Bewerbungen verschicken und abwarten hätte nicht zum Erfolg geführt. Ich musste immer wieder persönlich nachhaken.
Die Bewerbungsgespräche fanden wegen der Zeitverschiebung spätabends oder nachts statt. Dazu noch die nervliche Anspannung. Heute sehe ich das lockerer, aber für mich war es damals eine anstrengende und aufreibende Zeit, die ich so schnell nicht noch einmal erleben möchte. Ich glaube bei 2 oder 3 Bewerbungen schaffte ich es nicht in die Interview-Phase.
Mein zweites Telefoninterview war erst Monate nach dem ersten Versuch und fühlte sich perfekt an. Ich war fest überzeugt den Job in der Tasche zu haben – mitnichten. Ich war sehr enttäuscht. Als ich nach dem dritten Interview mit einem anderen Arbeitgeber eine weitere Absage bekam, war ich sehr frustriert. Weitere Stellenausschreibungen waren nicht in Sicht.

Von der ersten erfolglosen Bewerbung bis zum Arbeitsvertrag auf dem Tisch vergingen 9 Monate!

Ich hatte aber nichts mehr zu verlieren, also bat ich um eine Begründung für die Absage. Ich beschloss mich nicht abwimmeln zu lassen. Da wurde der Bewerbungsprozess mit zwei Skype-Interviews im Abstand von jeweils einigen Wochen wieder aufgenommen. Aber dass ich den Job in Invercargill hatte, wusste ich erst als der Arbeitsvertrag per Post bei mir ankam.
Von der ersten erfolglosen Bewerbung bis zum eigentlichen Arbeitsvertrag auf dem Tisch vergingen knapp 9 Monate. Davon dauerte der letztendlich erfolgreiche Bewerbungsprozess mehr als 3 Monate. Bis ich den Job letztendlich antreten konnte vergingen weitere 3 Monate die mit meiner Registrierung als Ärztin und dem Visa Antrag ausgefüllt waren.

Auf welchem Visum hast Du gearbeitet als Du hier Deinen ersten Job als Ärztin angenommen hast?

Wir sind mit einem 3 Jahres Work Visa eingereist, ich in der Skilled Category und mein Mann als mein Partner (Partnervisum). Es war eine “Joint Application”(wir haben uns als Paar zusammen beworben mit mir als Hauptantragsteller). Wir mussten insgesamt knapp 1 kg Dokumente an das Büro von Immigration New Zealand in London schicken. Bei unserem späteren Antrag auf das Resident Visa hat sich die aufwändige Vorbereitung in Deutschland dann bezahlt gemacht.
Alternativ wollten wir erst mit einem 12 Monate Work Visa einreisen und dann bequem Medical Check usw vor Ort regeln . Aber die Umzugsfirma machte uns darauf aufmerksam, dass wir mit einem Visa unter 24 Monate Gültigkeit auf jeden Fall unseren gesamten eingeführten Haushalt verzollen müssten – und das kam für uns nicht in Frage.
Ich würde immer empfehlen sich so schnell wie möglich um das Resident Visa zu kümmern und sich nicht auf einem Work Visa “auszuruhen”. Was man hat, das kann einem keiner mehr nehmen.

War Dein erster Job in Neuseeland eher ein Kompromiss oder bist Du voll zufrieden gewesen mit der Stelle?

Ich wusste, dass ich mit dem ersten Job den Fuß in die Tür bekommen mußte. Ich selber gab mir einen Zeitraum von zwei Jahren im neuen Job um zu schauen ob ich in Invercargill klarkomme oder lieber wechseln möchte. “Hauptsache Neuseeland!” war die Devise. Positiv war, dass ich am Meer leben konnte, so wie ich es mir als Wassersportler gewünscht hatte.
Ich kam mit einer offenen Einstellung an und habe was meine Kollegen und die Arbeit angeht Bedingungen angetroffen die viel besser waren als ich es je erwartet hätte. Ich wünsche mir dass alles so bleibt wie es ist. Gedanken an einen Wechsel habe ich kurz nach Arbeitsantritt völlig verworfen.

Welche Schwierigkeiten gibt es für deutsche Ärzte die in Neuseeland arbeiten wollen?

Sofern man nicht in einem englischsprachigen Land gearbeitet hat sind die strengen Sprachnachweise die erste Hürde, da ohne diese eine Registrierung /Arbeitserlaubnis gar nicht erteilt werden kann.
Schwierig ist natürlich auch die eigentliche Registrierung und Berufsanerkennung. Das jeweilige Royal College (abhängig von der ärztlichen Fachrichtung) und in letzter Instanz das Medical Council müssen gewährleisten dass jeder ausländische Arzt (außer australische Ärzte) in seiner Qualifikation und Kompetenz einem neuseeländischen Arzt der gleichen Fachrichtung ebenbürtig ist. Der Prozess unterliegt einer individuellen Bewertung des ausländischen Kandidaten und seiner Qualifikationen. Dazu ist ein gesonderter Interview-Termin vor Ort erforderlich. Eventuell kommt nach einer Supervision (Arbeiten unter Aufsicht) von 12 – 18 Monaten noch ein “Assessment” oder sogar ein Examen auf einen zu. Das ist von Fall zu Fall unterschiedlich. Während dieser Zeit arbeitet man in Neuseeland unter der Aufsicht einer dazu ernannten Person.

Die Facharztausbildung ist Deutschland eher praktisch, hier in Neuseeland teilweise eher wie ein Studium strukturiert. Man hat neben der Arbeit auch Vorlesungen und muss mehrere Zwischenprüfungen ablegen. Auch sind die zuständigen Behörden in Deutschland und Neuseeland nicht 1 zu 1 vergleichbar. Daher war vieles in der Kommunikation mit meinem zuständigen Royal College und dem Medical Council nicht selbsterklärend. Ich musste zum Teil erst mal selber herausfinden was genau die eigentlich von mir wissen wollten.
An die Unterschiede zwischen dem deutschen Krankenkassen-basierten und dem neuseeländischen, steuerfinanzierten  Gesundheitssystem mußte ich mich auch erst gewöhnen – sowohl als Ärztin als auch als Patientin. In der Praxis gibt es da immer noch Überraschungen – da muss man sich halt anpassen.

Bei mir kam noch hinzu dass ich vom Ruhrgebiet (einem urbanen Ballungsraum mit dichter ärztlicher Versorgung) nach Southland in eine etwas abgelegene Gegend gezogen bin. Die Patienten kommen nicht mehr nur aus einem Umkreis von 10 bis 15 Minuten zu uns. Ich muss berücksichtigen, dass sie manchmal bis zu 3 Stunden mit dem Auto angereist sind um sich untersuchen zu lassen. Besonders schwierige medizinische Fälle werden hier ins weit entfernte Christchurch ausgeflogen, Kinder nicht selten auf die Nordinsel nach Auckland. Im Ruhrgebiet mit mehreren Unikliniken in Reichweite wären solche langen Wege nie in Frage gekommen.

Hast Du Dein Visa mit oder ohne Auswanderungsberater beantragt?

Für mich war wichtig, dass ich in Neuseeland weiterhin meinem erlernten Beruf nachgehen kann und ich wollte rausfinden ob ich dafür gravierende Einbußen in Kauf nehmen muss. Über das Einwanderungssystem hatten wir uns am Anfang weniger Gedanken gemacht. Zunächst schien alles von der Anerkennung meiner Qualifikation und einem Stellenangebot abzuhängen. Ich hätte selbst Schwierigkeiten zu bewerten, ob ein deutscher Arzt einer anderen Fachrichtung seine Qualifikation hier in Neuseeland anerkannt bekäme. Wie soll da ein Auswanderungsberater, also ein medizinischer Laie, konkret weiterhelfen? Und einen Job muss ich mir ja wohl auch selbst an Land ziehen.

Daher glaube ich nicht, dass uns in der Anfangsphase ein Berater was gebracht hätte. Als wir uns dann mit dem Punktesystem der Skilled Migrant Category auseinandersetzen mussten wurde uns schnell klar, dass wir die erforderlichen Punkte auf jeden Fall erreichen. Wir kamen mit meinem Stellenangebot (Job Offer) auf knapp 200 Punkte. Sämtliche Formulare kann man ja im Internet runterladen und bis auf wenige Ausnahmen hatten wir keine Probleme alle Fragen für die Visa Anträge auf Anhieb selbst zu beantworten.
Mit den Fragen die aufkamen haben wir uns direkt an Immigration New Zealand gewandt. Die gesamte Korrespondenz mit der Einwanderungsbehörde lief schriftlich ab, um Missverständnissen vorzubeugen. Es war schon ein bürokratischer Akt, aber es war zu stemmen. Wir sind auch froh dass wir uns selber durch all die Papiere durchgewühlt haben. Wir hatten immer das Gefühl alles unter Kontrolle zu haben und dass der Prozess in unseren Händen liegt. Rückblickend hätte ich es wieder genauso gemacht.

Verdienst Du als Arzt in Neuseeland mehr oder weniger Geld als vor der Auswanderung?

Das ist schwierig zu vergleichen da ich ja in Deutschland als Oberärztin gearbeitet habe, aber nicht als solche bezahlt wurde. Was das Finanzielle angeht kann ich mich in keinem der beiden Länder beklagen. Die Frage ist eher, was ich aus dem Geld hier oder dort jeweils gemacht habe.
In Neuseeland haben wir uns ein Haus mit großem Garten gekauft und angefangen zu renovieren. Das hätten wir in Deutschland wahrscheinlich nie gemacht. Aber auch das ist schwer zu vergleichen, da die Wohnsituation hier ganz anders ist.
Generell ist das Leben in Neuseeland nicht wirklich günstiger als in Deutschland. Die Auswahl und das Preis-Leistungs-Verhältnis bei Möbeln und Elektrogeräten ist in Deutschland besser. Was Lebensmittel angeht bemühen wir uns hier mehr auf Angebote zu achten und konsequent saisonal einzukaufen.
Andererseits: Wenn ich in Neuseeland Delikatessen wie Flusskrebse, Pauamuscheln oder frische Austern esse, muss ich oft nichts dafür bezahlen, weil Freunde uns etwas von sich abgegeben. Bei uns kommt recht häufig von Freunden gefangerner Fisch, selbstgeschossenes Wildfleisch oder Fleisch vom Hof unserer Freunde auf den Tisch. Wenn ich mich im Supermarkt über die Preise ärgere versuche ich dankbar zu sein, für all die guten Sachen, die ich hier kostenlos oder sehr günstig bekomme.

Welche 3 Dinge gefallen Dir am besten am Leben im Neuseeland?

1. Ich fühle mich angekommen und zu Hause. Ich kann hier ein Leben führen, das so in dieser Form in Deutschland nicht möglich gewesen wäre:  Mit einem Bein in der Stadt leben und mit dem anderen Bein im und am Meer. Tagsüber gehe ich einer geregelten Arbeit nach mit der man seine Rechnungen bezahlen kann und abends kann ich mit meinen Freunden aus der Umgebung surfen…im Winter mit Blick auf schneebedeckte Berggipfel Fiordland und im Sommer mit Delfinen. Das Gesamtpaket stimmt!
2. Wir haben hier so tolle Freunde gefunden auf die wir uns verlassen können und die uns immer selbstverständlich unterstützt haben. Gemeinsame Grillabende, zusammen lachen und quatschen. Vielleicht bilde ich mir das ein, aber ich erlebe das hier öfter und intensiver als in Deutschland.
3. Dazu kommen dann noch so “Kleinigkeiten” wie das befreiende Gefühl auf den im Morgenrot glühenden Horizont schauen zu können wenn ich zur Arbeit fahre. Wenn das Wetter klar ist sehe ich rüber bis nach Fiordland und Mount Anglem auf Stewart Island. Da kann die A40 in Essen nicht wirklich mithalten.

BBQ mit Freunden in Invercargill

BBQ mit Freunden in Invercargill

Lebensqualität: Wie steht es mit der hochgelobten Work-Life-Balance in Neuseeland?

Mein Mann hat hier in Neuseeland sein Hobby zum Beruf gemacht. Ich glaube selbst in stressigen Zeiten trauert er dem eintönigen IT-Job in Deutschland nicht nach.
Ich arbeite nicht weniger als in Deutschland und mein Stresslevel ist häufig genauso hoch. Für mich ist es sehr wichtig, dass ich hier regelmäßig surfen gehen kann und das wird von meinen Kollegen hier ganz selbstverständlich unterstützt. In Deutschland wäre das ja gar nicht möglich gewesen. Allgemein habe ich das Gefühl, dass meine Art zu leben hier besser akzeptiert wird. Die “Work-Surf-Balance” ist in Neuseeland definitiv besser – weniger Arbeit ist es sicherlich nicht. Aber ich habe gefühlt weniger interkollegialen Stress.

Überlegst Du manchmal zurück nach Deutschland zu gehen und welche 3 Dinge aus Deuschland vermisst Du in Neuseeland am meisten?

Gedanken an Rückkehr habe ich nicht. Wenn es mir hier in Invercargill nicht mehr gefallen sollte würde ich einen Umzug innerhalb Neuseelands anstreben. Von Freunden und Familie mal abgesehen, müsste ich schon scharf überlegen was ich hier vermisse.
Laue Sommerabende vermisse ich vielleicht: Wenn hier in Neuseeland im Sommer die Sonne untergeht wird es schlagartig kälter. Nach Sonnenuntergang draußen sitzen wird schnell ungemütlich. Aber hey: Dann macht man eben ein Lagerfeuer am Strand und dann wird es wieder kuschelig warm. Leider riecht man danach wie eine Räucherforelle. Apropos Forellen – die kann man hier nicht kaufen. Da muss man Freunde mit Angellizenz und Räucherofen fragen. Etwas umständlicher als eine Räucherforelle bei Aldi zu kaufen.

Dann fehlt mir manchmal mein Lieblingsrestaurant in Essen. In Wellington gibt es zwar ähnlich fantastische Restaurants – aber dort würde ich nicht dauerhaft leben wollen.
Im ersten Jahr in Neuseeland habe ich mir noch Sachen von meinen Eltern schicken lassen die in Deutschland günstiger sind. Mittlerweile lasse ich mir nur noch die speziellen Kompressionsstrumpfhosen auf die ich seit über 10 Jahren schwöre schicken. Für ein vergleichbares Produkt müsste ich hier in Neuseeland zum Hausarzt gehen und mir ein Rezept ausstellen lassen. Da hab ich schlicht keine Lust drauf.
Naja…und in Deutschland konnte mich mir mit meinem Arztausweis problemlos verschreibungspflichtige Medikamente kaufen. Das darf ich hier in Neuseeland nicht. Meine Lösung dafür ist einfach nicht krank zu werden 😉

War es aus heutiger Sicht eine gute Entscheidung nach Neuseeland auszuwandern und hast Du da je gezweifelt?

Das war die beste Entscheidung ever! Danke an meinen Mann Arthur der mir wie im Film “Inception” diesen Gedanken “eingepflanzt” hat. Wir hatten ein schönes Leben in Deutschland und jetzt haben wir eben ein noch schöneres Leben in Neuseeland. Der Lifestyle hier hat unsere Erwartungen noch übertroffen!

Was fandest Du an der Auswanderung persönlich am schwierigsten?

Das war ganz eindeutig die Jobsuche. Danach war die Auswanderung nur ein bürokratischer Papierkrieg. Nicht spaßig aber machbar. Zu einer erfolgreichen Einwanderung gehört für mich auch, dass man sich vor Ort gut eingliedert und zu Hause fühlt. Ich glaube das hängt sehr von der inneren Einstellung ab und ob man tatsächlich mit dem neuseeländischen Alltag kompatibel ist. Wenn man nicht bereit ist Dinge, die anders sind und sich auch nicht ändern lassen zu akzeptieren, dann wird man es sehr schwer haben. Man muss sich in Neuseeland eben in mancher Hinsicht umstellen, aber als wirklichen Kulturschock habe ich es nicht empfunden.

Natalie in den Catlins

Natalie in den Catlins

Du lebts in Invercargill auf der Südinsel. Kannst Du diese Stadt anderen Auswanderern empfehlen?

Oh ich denke das ist eine sehr individuelle Angelegenheit: Das was mir hier gefällt mag auf andere gar nicht zutreffen und umgekehrt. Zur Zeit nervt mich der andauernde Wind sehr. Der ist hier typisch beim Übergang zwischen den Jahreszeiten. Der macht uns Surfern die Wellen kaputt – aber die Kitesurfer sind begeistert.
Invercargill ist eine für neuseeländische Verhältnisse eine mittelgroße Stadt mit entsprechender Infrastruktur. Pluspunkte sind die geringe Arbeitslosigkeit, die Familienfreundlichkeit und die Immobilienpreise sind im Landesvergleich sehr niedrig. Hier bekommt man durchaus ein Haus mit großem Grundstück im Grünen das eine schnelle und staufreie Anbindung an soziale Einrichtungen, ärztliche Versorgung und Schulen hat.

Wer auf Shopping, Clubs, Bars und ein aufregendes Nachtleben steht, wird in Invercargill wohl nicht glücklich werden. Dafür stehen hier verschiedenste Arten von Wassersport und andere Outdoor-Aktivitäten wie Fischen, Jagen, Wandern, Mountainbiking oder Reiten hoch im Kurs. Invercargill ist eine gute Ausgangsbasis für Wochenendeausflüge in die Catlins und zum Fiordland Nationalpark (Milford und Doubtful Sound). Selbst Wintersport ist während der Saison eine Option: Die Skigebiete der Remarkables sind in 2-3 Autostunden erreichbar.
Man ist hier unten im Süden schon irgendwie etwas bedeutungslos und isoliert von den Zentren Auckland, Wellington und Christchurch – aber das stört mich nicht.

Die Temperaturen mögen im Süden zwar frisch sein, aber die Herzen der Menschen sind warm!

Invercargill’s Bürgermeister Tim Shadbolt hat mal gesagt: “Die Temperaturen mögen im Süden zwar frisch sein, aber die Herzen der Menschen sind warm!” Hier in der Gegend leben erstaunlich viele Neuseeländer die aus der Region Taranaki stammen. Auf meine Frage, was sie ausgerechnet hier hält habe ich ohne Ausnahme immer die Antwort bekommen:” Es sind die Menschen hier!” Das war auch das was mich persönlich am meisten beeindruckt hat: Wie leicht es für uns war uns hier in die Gemeinschaft einzugliedern.
Hier in Southland kennt jeder jeden, sobald wir die ersten Kontakte geknüpft hatten fanden wir uns in einem sozialen Netzwerk wieder. Das funktioniert nicht nur auf der privaten Ebene: Mein Mann ist ja selbständig und viele lokale Kleinunternehmer sehen es als selbstverständlich an Aufträge ausschließlich an lokale Anbieter zu vergeben und sich so gegenseitig etwas zu unterstützen. Für andere wäre dieser kleinstädtische Charme vielleicht etwas zu beengend.

Welchen Ratschlag würdest Du jemandem geben der jetzt nach Neuseeland auswandern will?

Ich würde raten sich von gewissen Mythen gedanklich zu lösen. Das “Green and Clean” Image Neuseelands wurde von der Tourismusindustrie aufgebaut, aber im täglichen Leben sieht es mit dem Umweltbewusstsein etwas anders aus.
Neuseeland ist nach wie vor ein sicheres Land mit relativ geringer Kriminalitätsrate. Trotzdem ist die Wirklichkeit von dem possierlichen Neuseeland-Image weit entfernt: Besonders in den Bereichen Drogen- und Bandenkriminalität, häusliche Gewalt und Kindesmissbrauch. Je tiefer man in die neuseeländische Gesellschaft eintaucht, desto greifbarer werden diese Probleme. Die hohen Selbstmordraten bei Teenagern und jungen Männern haben Spuren in meinem Bekanntenkreis hinterlassen. Im Berufsalltag war ich war oft genug schwer erschüttert von dem Ausmaß von Gewalt gegen Kinder hier.
Oder sucht mal auf nzherald.co.nz oder stuff.co.nz einen beliebigen Artikel über Einwanderungsgesetze in Neuseeland heraus und lest dazu die Leserkommentare. Da merkt man schnell: Rassimus und Fremdenfeindlichkeit gibt es auch hier! Als deutscher Einwanderer ist man nicht wirklich davon betroffen – manchmal bin ich aber froh, dass man mir meine asiatischen Wurzeln nicht ansieht.
Außerdem solle man sich klarmachen, dass man hier zwar mehr Netto vom Brutto hat (durch den Wegfall von Pflichtbeiträgen in die Rentenkasse, Krankenkasse sowie Sozialabgaben). Aber das bedeutet auch, dass man im Ernstfall ohne oder nur mit geringer finanzieller Absicherung da steht (Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Arbeitslosigkeit oder im Alter). Ich würde empfehlen dahingehend mit Versicherungen privat vorzusorgen. Das ist nach meiner Einschätzung aber immernoch günstiger als die Pflichtabgaben in Deutschland.

Für alle deutschen Ärzte die auch übers Auswandern nach Neuseeland nachdenken:
Es gibt eine Facebook Gruppe “deutsche Ärzte in Neuseeland” wo sich über 80 deutsche Ärzte und anderes medizinisches Personal tummeln. Dort hilft man Euch bestimmt gerne weiter wenn ihr Fragen habt.

Zum Ausklang dieses Interviews gibt es noch das wirklich phänomenale Imagevideo für Orepuki Horse Treks von Arthur!

Mehr Interviews mit Neuseeland-Auswanderern findet ihr hier.

 

 

 

Save

Save

Save

Save

Das könnte Dich auch interessieren: