Dieser Beitrag fällt natürlich mal wieder ganz klar in die Kategorie: “Vorsicht! Verallgemeinerung! – Es lebe das Klischee”…
Auf den ersten Blick ist Neuseeland Deutschland gar nicht so unähnlich, sobald man aber an der Oberfläche kratzt wird deutlich: In Sachen Arbeit und Lebensqualität tickt der gemeine Neuseeländer ganz anders.
In Deutschland hat man hoffentlich etwas “gescheites gelernt” und geht einem ordentlichen Beruf nach. Wenn nicht, dann muss man bei den Schwiegereltern zumindest mit einer hochgezogenen Augenbraue rechnen. Außerdem arbeitet man fleißig 40 Stunden pro Woche um es mal zu etwas zu bringen und um auf ein Haus oder ein neues Auto zu sparen.
Neuseeland: Die “klassenlose Gesellschaft”
In Neuseeeland ist die Berufslandschaft viel unhomogener und der Ehrgeiz hält sich in Grenzen. Jede Art von Tätigkeit hat ihre Daseinsberechtung und niemand wird schief angeschaut für die Art und Weise wie er seinen Lebensunterhalt bestreitet. Das ist auch historisch bedingt: Früher verstand sich Neuseeland als “klassenlose Gesellschaft”.
Viele Kiwis habem keine Berufsausbildung, auch weil es hier für viele einfache Berufe gar keine Ausbildung gibt, zB Einzelhandelskaufmann, Bürokauffrau oder Bäckereifachverkäuferin. Diese Jobs werden oft von Ungelernten oder Schulabgängern ausgeführt. Man fängt einfach irgendwo an und arbeitet sich dann hoch.
Der neuseeländische Arbeitsmarkt ist viel durchlässiger, es gibt viele Quereinsteiger und Leute die sich für einen Karrierewechsel entscheiden. Ein Bekannter von uns arbeitete bis vor kurzem als Quality Manager auf einer Kiwiplantage, jetzt verkauft er Klima-Anlagen.
Viele Neuseeländer haben keinen klassischen 40-Stunden-Job
Außerdem haben viele Neuseeländer keinen klassischen 40-Stunden-Job. Dafür gibt es verschiedene Gründe:
- In Neuseeland gibt es extrem viele Kleinunternehmer. 69% der neuseeländischen Unternehmen haben keine Angestellten (Quelle hier). Diese Einzelunternehmer wuseln oft so vor sich hin teilen sich ihre Zeit selbst ein und gehen nicht selten mehreren verschieden Tätigkeiten nach. Solange man finanziell rum kommt lässt man es eher ruhig angehen. Als Beispiel: Adrian, unser Klempner hier in Gisborne. Er arbeitet nur 3 Tage die Woche obwohl er einen riesigen Backlog an Aufträgen hat. Seine Zeit verbringt er lieber mit Musik und seiner semi-professionellen Band. Er hat lieber mehr Freizeit als mehr Geld. Ein anderer Bekannter ist im Winter Fliesenleger und im Sommer arbeitet er ausschließlich als Bienenzüchter.
- Viele weniger qualifizierte Jobs sind Teilzeitjobs. Wer so eine Familie ernähren will muss oft mehrere Jobs parallel haben.
- Tagelöhner: Was in Deutschland schon fast ein Schimpfwort ist beschreibt ganz gut was viele Arbeiter hier in Neuseeland machen. Das ganze Jahr über gibt es Saisonjobs für die Mindestlohn bezahlt wird zB in der Landwirtschaft oder im Tourismus. Das sind aber alles nur Aushilfsjobs. Da gibt es hier aber keinen Unterschied zur “Festanstellung”: Neuseeland zahlt seinen Bürgern eine beitragsfreie Grundrente . Beiträge zur Sozial-oder Rentenversicherung gibt es nicht. Einige Kiwis hangeln sich von Job zu Job… was nicht unbedingt finanzielle Sicherheit bedeutet, aber wer zwei gesunde Hände hat findet hier eigentlich immer was zu arbeiten.
- Am oberen Ende des Arbeitsmarkts bieten Firmen Hochqualifizierten flexiblere Arbeitszeitmodelle um Fachkräfte zu halten und sich als Arbeitgeber attraktiv zu machen. Ich zB konnte eine 4-Tage-Woche verhandeln und jetzt (mit Kind) arbeite ich nur 3 Tage pro Woche.
Lebensqualität ist den Neuseeländern wichtig
Kein Einwanderer wird als Tagelöhner arbeiten… mit so einem Job bekommt man in Neuseeland ja gar kein Visum. Aber wenn man länger hier lebt und beobachtet was um einen herum so passiert, wie die Leute so leben, dann lässt das anerzogene deutsche Verlangen nach einer 40-Stunden-Festanstellung mit der Zeit nach. Das deutsche Sicherheitsdenken ist schon auch ein Klotz am Bein: Schließlich lebt man nur einmal!
Ein kleines Business aufbauen? Nebenher vielleicht einen Teilzeitjob? Hier tuscheln jedenfalls nicht die Nachbarn wenn man nicht morgens um 8 Uhr mit dem Aktenköfferchen das Haus verlässt.
„What I do for a living? I live for a living.“
Die Dokumentation: “This Way of Life – Neuseeland so leben wir” ist Pflichtprogramm für alle die nach Neuseeland auswandern wollen. Die Filmemacher haben 4 Jahre lang eine neuseeländische Familie mit 6 Kindern begleitet die ein einfaches, naturverbundenes Leben abseits von Kommerz und Konsum lebt. Der Vater hat keinen festen Job. Als er gefragt wird “What do you do for a living?” (frei übersetzt: “Was ist Ihr Beruf”) antwortet er: “I live for a living!” (“ich lebe einfach”).
Auch wenn dieser Film wirklich ein Extrem des neuseeländischen Lifestyles beschreibt. In Neuseeland kann eigentlich jeder so leben wie er es für richtig hält. Anders als in Deutschland wird man nicht schief angeschaut wenn man keine feste Arbeit hat oder nicht in in de gängigen Schubladen passt. Neuseeland hat brave Bürger mit Festanstellungen aber auch Platz für Lebenskünstler, Aussteiger und Leute die ihr eigenes Ding machen wollen. Nur bevor man diesen Lifestyle genießen kann braucht man ein Visum für Neuseeland… und das läuft bei den allermeisten Einwanderern halt über eine Festanstellung.
Hier kann man die 85min Komplettfassung kostenpflichtig und legal runterladen.
Titelphoto von https://www.facebook.com/thiswayoflifemovie/